28.3. + 29.03.2016 - Einmal Slum bitteschön und Rückreise
 

Guten Morgen. Heute geht’s nach Hause. Fast vier Wochen Indien sind damit rum. Wo ich noch den Eindruck hatte, das sich die letzten Tage der Rundfahrt so ab Bikaner oder Mandawa etwas gezogen haben, hat die Zeitwahrnehmung spätestens ab Kalkutta wieder deutlich an Fahrt zugelegt und die letzten Tage sind verflogen. Mein Rückflug ging in der Nacht um 3 Uhr. Daher hatte ich noch einen ganzen Tag vor mir.

Nochmal ein feudales und reichhaltiges Frühstück. Heute gabs auch wieder wie selbstverständlich Ketchup zum Bratei. Vorbildlich.

Ich hatte mir für heute noch eine Tour durch das Dhavari Slum Viertel eingebucht. Die Firma „Reality Tours & Travel“ bietet unter dem Begriff „Slum Tour“ eine geführte Tour durch die „industriellen“ Teile des Dhavari Slums an. Dieses Slum Viertel ist das größte von Bombay (von Indien?) und offenbar ist man dort sehr produktiv. Das Viertel besteht aus unendlich vielen Kleinbetrieben, die alle irgendwas herstellen oder recyceln. Natürlich wohnen da auch sehr viele Menschen, aber Reality Tours macht keine Führungen durch die Wohnzimmer und Küchen der Leute. Das ist auch gut so. Bei dem, was man zu sehen kriegt, darf man auch nicht fotografieren. Man bekommt später einen Link zu einer Handvoll „freigegebener“ Bilder, die man benutzen kann.

Es gibt nicht nur Reality Tours die sowas anbieten. Eine kurze Suche auf Tripadvisor fördert unendlich viele dieser Companies zu Tage. Alle machen eigentlich was ähnliches. Reality Tours hatte ich als Treffer ganz oben und die unterstützen mit ihrem Tun auch Projekte im Slum, mit denen Gutes getan wird.

 

 

Treffpunkt für die Tour sollte um 13 Uhr am Churchgate Bahnhof sein. Den kannte ich ja von gestern schon. Ich bin also vom Hotel aus die fast schon bekannte Strecke hin zum Bahnhof kurzerhand zu Fuß gegangen. Heute hatte es wieder ganz nette Temperaturen und fiese Luftfeuchtigkeit. Als ich am Bahnhof anmarschiert kam, war ich schonmal komplett durchgeschwitzt.

Zur vereinbarten Zeit war niemand von Reality Tours zu sehen, dafür aber noch zwei andere Pärchen, die auch warteten. Die einen waren Deutsche, die zwei anderen offenbar Spanier. Der (ziemlich junge) Guide von Reality Tours kam dann irgendwann mit amtlichen 45 Minuten Verspätung auch mal an. War gerade so an der Grenze. Ich wäre in den nächsten 5 Minuten wieder gegangen. Aber dann wurde ja doch noch alles gut. Erst wurde die „Registrierung“ gemacht und die Zahlungen geklärt, dann hat er Fahrkarten für den Zug gekauft. Um zu dem Slum zu kommen, muss man ein gutes Stück mit der Vorortbahn rausfahren.

Eigentlich war das hier ganz einfach. Der Zug gondelte ganz gemächlich in der Gegend herum. Die Wagons waren offensichtlich für größere Mengen an Leuten ausgelegt. Es gab mehr Haltegriffe für Steher als Sitzplätze. Türen gibt’s am Wagon scheinbar keine. Wenn der Zug im Bahnhof etwas langsamer wurde, sind die Leute rausgesprungen oder auch schon reingehüft. Reine Standzeit gabs bei der Bahn fast keine. Das ging, wie bei der Fähre in Kalkutta, auch hier im fliegenden Wechsel.

Es gab wohl offenbar mehrere Klassen. Zumindest gabs reine Frauen-Wagons. Wo sich jetzt die Klassen noch weiter unterschieden habe ich bei dem Vorortzug nicht genau feststellen können. Offenbar wurden die Wagons von vorne nach hinten irgendwie älter und dreckiger. Könnte sein, das es am Zugende in den verrosteten Schrottwagons billiger war als vorne in den noch einigermaßen glänzenden Wagons.

Wir sind dann bis zur Station Mahim Junction (glaube ich) gefahren. Da waren auch noch andere, die mit Reality Tours unterwegs waren. Alle wurden dann irgendwie aufgeteilt und zogen dann mit ihren Guides in diverse Richtungen davon. Das deutsche Pärchen und Ich, wir bekamen eine Kleingruppenführung mit unserem Kinderguide.

Zuerst gings an der Bahn entlang über die Brücke direkt ins Slumgetümmel. Also irgendwie sah das hier noch garnicht so wild aus. Die Dreckstraßen und der ganze Müll haben mich fatal an diverse Ecken in Rajasthan erinnert, wo ich vor ein paar Wochen mit Anil hergefahren bin. Wer jetzt nur Mumbai Stadt kennt, der wird hier wohl einen kleinen Schock erleben. Aber mich hats jetzt nicht wirklich von den Socken gehauen. OK. Es gibt im weiteren Verlauf der Tour auch ein paar Ecken wo ich mich auch nicht freiwillig aufhalten würde, aber so schlimm wie ich mir jetzt ein „Slum“ vorgestellt hätte, wars aber dreimal nicht. Wie gesagt, nach ein paar Ecken in Rajasthan wars man ja Kummer gewohnt.

(Die folgenden Bilder sind die von Reality Tours freigegeben Bilder, die man nach der Tour über einen Downloadlink herunterladen kann. Die Bilder geben die Realität nicht wirklich wieder, die sind meiner Meinung nach ein wenig zu "positiv" gestaltet.)

 

 

 

 

Natürlich sind die Zustände in den ganzen Betrieben überall haarsträubend. Irgendwelche, wie auch immer gearteten, Arbeitsschutzmaßnahmen gibt’s hier nicht. Da wird in der Wohnküche Aluminium eingeschmolzen und in Barren gegossen und der Rest der Familie sitzt neben dem flüssigen Alubarren am Tisch. Übel übel. An einer anderen Stelle wurde unglaublich viel Plastik „recyceled“. Plastikgegenstände (Fernbedienungen, Radkappen, Stoßstangen, Kinderspielzeug ….) wurde in großen Schreddern zerkleinert. Dann saßen da lange Reihen von Frauen, die die Haufen Plastikbrocken nach Farbe sortiert haben (!!) und anschließend wurden die Haufen von gelbem Plastik oder blauem Plastik oder oder oder noch kurz eingeschmolzen (bestimmt ganz gesunde Düfte da) und zur weiteren Verarbeitung irgendwo hin transportiert. Findet alles in einer Gasse statt.

Wir sind von den Aluschmelzern über die Plastiksortierer zu den Großbäckern für Teilchen und Süßkram und den Akkord-Jeans-Nähern gegangen. Alles versammelt auf recht kleinem Gebiet. An einer Ecke wurden frisch abgezogene Tierhäute verarbeitet. Das war absolut eklig, da hätte ich mich fast übergeben müssen. Dann gings zu den Teigfladen-Bäckern und den Töpfern. Interessant fand ich noch den Besuch bei den Lederverkäufern. Alles Leder was hier verarbeitet wird kommt vom Wasserbüffel. Die haben da große Pressen, wo die in das Wasserbüffelleder jede beliebige Maserung reinpressen können. Wenn das hinterher noch entsprechend eingefärbt ist, kann man den Wasserbüffel dann als garantiert echtes Krokodil oder Schlange oder oder oder kaufen.

Irgendwann fing der Guide dann an zu erzählen vom Film Slumdog Millionair. Der wurde zum Teil „live“ hier im Dhavari Slum gedreht. Wir sind dann ne ganze Zeit lang durch unglaublich schmale und dunkle Gassen bei Leuten durch Wohnzimmer und Küche gestapft, immer mit dem Hinweis, das man den Kopf einziehen solle und ja keine Stromkabel zu berühren. War am Ende doch dann mehr „Wohngebiet“ wie es sich vorher angehört hat.

Gegen Ende sind wir dann zur „Slum-Zentrale“ von Reality Tours gegangen, wo noch präsentiert wurde, welche Projekte Reality Tours schon verwirklicht hat. Da war vom Computerkurs bis zum Mädchen-Fußballteam alles bei. Echt nicht unsympatisch. Dafür habe ich später gerne noch ein paar Scheine in die Spendendose gesteckt. Deutschland hatte denen einen Computer gestiftet. Der wurde wie ein Schatz hinter verschlossener Tür inkl. Bundesadleraufkleber aufbewahrt und war wohl hier im Slum ne echte Attraktion. Für die Kids wohl die einzige Gelegenheit mal einen Computer zu bedienen.

(ab hier sinds wieder meine Bilder)

 

Insgesamt zur Tour würde ich sagen : Ja, das kann man durchaus machen. Hier wird niemand zur Schau gestellt und hier werden auch nicht die reichen Weißen in Reisegruppen durch die Gassen getrieben für den Slum Tourismus. Überall wo wir hinkamen wurde der Guide begrüßt und auch wir Besucher wurden zumindest nett behandelt.  Die No-Photo-Policy ist gut. Die Einnahmen kommen den Leuten zugute, die Guides sind ausnahmslos „Locals“. Ich fand es interessant aber auch sehr anstrengend. Ich habe den genauen zeitlichen Verlauf nicht mehr im Kopf, aber wir sind auf jeden Fall gute drei Stunden da rumgestapft und haben Dinge gesehen und erklärt bekommen. Das alles aufzunehmen war anstrengend. Der Guide hat ein gutes Tempo vorgelegt, das war anstrengend ihm zu folgen. Und letztlich wurden auch die diversen Sinne (vor allem die Nase) immer wieder neuen Prüfungen unterzogen. Auch anstrengend.

Die Tour hat nicht da geendet wo sie angefangen hat. Wir sind mit dem Guide mit einem Sammeltaxi, welches bis Oberkante Unterlippe vollgemacht wurde, zu einer anderen Bahnstation gefahren. Ich hatte den Beifahrerplatz bekommen und hatte auf der ganzen Fahrt, angesichts der vielen zusammengeknuddelten Leute hinter mir, immer das Gefühl furchtbar viel Platz zu verbrauchen und wegzunehmen.

Als dann am Bahnhof alle aus dem Fahrzeug rausgepurzelt sind und alle Knochen gerichtet waren, gabs ne kurze Verabschiedung und bis der Zug kam noch ein nettes Pläuschchen und den Hinweis einfach sitzen zu bleiben bis der Zug an der Endstation (Kopfbahnhof) Churchgate angekommen ist. Und damit war die „Slum-Tour“ zu ende.

Ich bin auf dem Rückweg aber an der Station „Mahalakshmi“ noch einmal ausgestiegen und habe mir die große Freiluftwäscherei von Mumbai mal angeschaut. Ist relativ wenig Aufwand. Raus aus der Station und von der Autobrücke davor kann man schon alles sehen. Die Gegend ist auch so etwas wie ein Slumgebiet mit etlichen Wellblechhütten. Inmitten dieser Hütten gibt’s dann viele Steinbottiche wo gewaschen wird. Die Klamotten werden dann an Wäscheleinen auf dem Wellblechdach getrocknet. Es ist wohl so, das hierhin tagtäglich so gut wie alle Wäsche aus ganz Mumbai angeliefert wird und von hier auch wieder sauber ausgeliefert wird.

 

Wieder in Churchgate angekommen war ich jetzt doch ein wenig groggy. Der Fußweg zurück war recht schnell absolviert. Im Leopold gabs noch ein Abschiedsbierchen und im Hotel dann erst mal ne Dusche um den Dreck und die Gerüche vom Dhavari loszuwerden.

Ich glaube es war so um die 19 Uhr und ich habe mich dann noch bis 23 Uhr aufs Ohr gelegt. Tasche packen und alles für die Abreise vorbereiten hat noch ein wenig gedauert und so habe ich recht genau um Mitternacht im Hotel ausgecheckt.

Auch das Taj Mahal Palace hat nicht auf dem teuren Hotel Transfer bestanden und direkt wie gewünscht ein billiges Straßentaxi rangewunken.

Und jetzt bei der letzten Taxifahrt in Indien habe ich das erste Mal einen erwischt, der wusste was er tut. Die erste Fahrt, wo ich mich nach kurzer Zeit nicht fragte ob ich überhaupt ankomme. Ganz easy hat er mich vor dem neu aussehenden und modernen International Terminal abgesetzt und auch nicht nachverhandelt.

Checkin war schnell erledigt, war keiner am Schalter. Leider habe ich dann in der nächsten Stunde in der Schlange gestanden für die Passkontrolle und Ausreise. Hier war ein Mega Betrieb und die Beamten im hyper-bürokratie-Modus unterwegs. Als ich endlich dran war schaut der Typ auf mein Ticket und meint nur : Ach für Business Class gibt’s da hinten einen extra Schalter ohne Betrieb. AAAAAAAARRRRRRRGGGGHHHHH. Wie hoch ist die Strafe für Massenmord an Stempelbeamten ? Ich versichere das da nirgendwo ein Schild stand.

Naja. Ich habe mich für die nächste Zeit in die Lounge verzogen und noch was leckeres gegessen. Dann wars Zeit und ich habe die obere Etage im Buckel der 747 betreten und mich sehr easy nach Frankfurt befördern lassen. Als ich meinen Sitz dann zur Liege gefahren habe und mich da dann reingefaltet hatte (ein wenig kurz isses ja schon, muss ich ja doch mal meckern :) ) konnte ich sogar ein wenig pennen.

Tja. Und dann war am Morgen in Frankfurt mit eindeutig nicht Indien kompatiblen Temperaturen „Indien im März 2016 – Rajasthan Rundtour und Städte“ leider vorbei.

Tschüß !

 

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